Licht ist ein Lebensmittel
Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Paul W. Schmits über Licht, Stadtraum und Wohlbefinden.
Licht wirkt sich auf das Wohlbefinden aus – das klingt, bezogen auf Wohnräume oder Arbeitsplätze plausibel. Doch inwiefern gilt das auch für Außen- und Stadträume?
Jeder hat seine ganz persönliche Vorstellung von Wohlbefinden. Für eine Definition von Wohlbefinden im Zusammenhang mit Licht möchte ich mich gerne auf den Lichtplaner William Lam beziehen, er sprach von „activity needs“ und „biological needs“. Während es bei den „activity needs“ eher um das funktionale Licht geht, das man zur Erfüllung bestimmter Aufgaben benötigt, decken sich Lams „biological needs“, die sich vor allem auf psychologische, zum großen Teil auch unbewusste Bedürfnisse beziehen, weitgehend mit unserem Begriff von Wohlbefinden. Dazu zählt für mich alles, was dafür sorgt, dass der Mensch sich in einer Situation wohlfühlt, dass er sie korrekt einschätzen und sich gut orientieren kann. Das gilt selbstverständlich auch im Stadtraum: Keiner will als Fußgänger stolpern oder überfahren werden. Aber darüber hinaus möchte ich auch das Gefühl haben, ich bin richtig in dieser Straße, ich kann den Ort einschätzen, ich weiß, wo ich hinwill. So grenzt sich aus meiner Sicht das Licht für Wohlbefinden von dem Licht ab, das ich benötige, um überhaupt etwas zu sehen.
Wie hängen denn Wohlbefinden, Ökologie und Nachhaltigkeit zusammen?
Nachhaltigkeit umfasst auch Wohlbefinden. Wenn ich eine technische Lösung anbiete, die kein Wohlbefinden schafft, lehnen die Nutzer sie ab und sie wird durch die nächste Lösung ersetzt. Solche kurzlebigen technischen Lösungen sind alles andere als nachhaltig. Bei Nachhaltigkeit kommt einem oft als erstes die Energieeffizienz in den Sinn, doch die steht oft im Widerspruch zu Wohlbefinden. Jede gute Lichtplanung oder Leuchtenentwicklung fragt daher: Welche Ansprüche habe ich, welche Zielkonflikte entstehen dadurch und wie komme ich zu einer Balance? Das muss man für jede Situation wieder neu denken und bewerten.
Das Wohlbefinden hat mit den Qualitäten des Lichts zu tun – zum Beispiel mit der Lichtfarbe, der spektralen Zusammensetzung des Lichts. Was sollten Lichtplaner im Außenraum dabei beachten?
Wir müssen zwischen Lichtfarbe und Spektrum differenzieren. Die Farbe ist ein Spezifikum der menschlichen Wahrnehmung. Wir empfinden ein eher rötliches Licht als angenehm warm, ein eher kühleres Licht als neutral. Entsprechend wirkt eine Altstadtsituation in Warmweiß auf uns anheimelnd, während an der Ausfallstraße neutralweißes Licht stimmig erscheint. Kurz, es gibt Zusammenhänge, die aus dem „Genius loci“, der Qualität des Ortes heraus erwachsen. Ein Insekt dagegen sieht keine Lichtfarben, sondern reagiert mehr oder weniger empfindlich auf bestimmte Spektralbereiche. Mit LED können wir Licht spektral so zusammensetzen, dass es einerseits das Bedürfnis des Menschen nach Wohlbefinden in einer Situation erfüllt und andererseits den negativen Einfluss von Kunstlicht auf Fauna und Flora minimiert. Wir können also die Balance optimieren. Ein sehr vielversprechender An- satz, den wir noch besser erforschen müssen!
Dr.-Ing. Paul W. Schmits ist Professor für Lighting Design an der Hochschule für Ange-wandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim.
Aber zurück zum Wohlbefinden der Menschen und der Rolle des öffentlichen Raums. Wie wirkt sich die Beleuchtung auf das Zusammenleben in der Stadt aus?
Auch hier gibt es gegenläufige Zielsetzungen. Das Stadtmarketing fragt, wie mache ich die Stadt für Besucher attraktiv? Ein Quartiersmanagement hat dagegen vor allem das Wohlbefinden der Bewohner im Blick. Also suchen wir nach einer Balance zwischen der Inszenierung der Stadt nach außen und der Gestaltung eines Viertels für die Menschen, die dort leben. Dazu ist es wichtig, dass Stadtmarketing und Stadtentwickler miteinander sprechen und die Konsequenzen für den jeweils anderen betrachten. Die individuelle Behandlung verschiedener Quartiere macht die Qualität von Städten aus. Das gilt auch für sogenannte Problemkieze oder soziale Brennpunkte. Hier kann Licht viel bewirken: Es gibt den Menschen das Gefühl, wir sind nicht abgehängt – gerade, wenn nicht die offensichtlich billigste Lösung gewählt wird.
Auch Grünanlagen und Parks stellen wichtige Stadträume dar, die sich die Menschen vermehrt zurückerobern. Was kann Licht hier bewirken?
Parks sind Lebensräume mitten in der Stadt, deren Fauna und Flora natürlich anfällig gegen falsches Licht ist. Andererseits tragen solche Anlagen wesentlich zum Wohlbefinden bei – auch in den frühen oder späteren Abendstunden: Es gibt Restaurants, Plätze für sportliche Aktivitäten oder angenehme autofreie Verbindungen für den Fahrrad- oder Fußgängerverkehr. Auch hier ist das Ziel die richtige Balance zwischen Wohlbefinden, den funktionalen Aspekten und dem Sicherheitsgefühl. Untersuchungen zeigen, dass mehr Licht zwar das Sicherheitsgefühl erhöht, aber in der Realität nicht automatisch mehr Sicherheit erzeugt. Hier ist beim Planer Augenmaß gefragt.
Interessant finde ich den Gedanken, dass die Lichtplanung einen Park also nicht nur in räumlichen Dimensionen, sondern auch in der Zeitdimension betrachten sollte.
Die Fauna und Flora eines Parks sind von vornherein einem zirkadianen Rhythmus unterworfen. Auch die Anwohner wollen irgendwann ihre Ruhe haben. Als Planer sollte ich die Aktivitäten im Park und ihre Dynamik betrachten – auch im Winter, wenn es in unseren Breiten schon früh dämmert. Daraus lassen sich dann Konzepte für die dynamische Beleuchtung ableiten. Es kann genügen, das Licht zu bestimmten Zeiten einfach abzuschalten, aber vielleicht sind auch verschiedene abgestufte Lichtszenarien die richtige Lösung. Ein entscheidendes Argument für smarte Beleuchtung! Die Regelung der Beleuchtung kann nicht nur Energie sparen, sondern hilft auch, Ökologie und Wohlbefinden im nachhaltigen Sinne zu verbinden.
Eine erfolgreiche Lichtplanung berücksichtigt Maßstab, Charakter und Nutzung eines Quartiers.
Zweifellos eine anspruchsvolle Aufgabe für professionelle Lichtplaner und Stadtplaner. Aber wie kann ich denn in der breiten Öffentlichkeit mehr Interesse und Verständnis für Beleuchtungsfragen schaffen?
Ich möchte es so formulieren: Licht ist ein Lebensmittel – also etwas, was wir zum Leben brauchen. Wir kennen die aktuelle Lebensmitteldiskussion, es gibt Allergien und Empfindlichkeiten, es gibt ein Zuviel und ein Zuwenig, es ist eine individuelle Angelegenheit. Warum wird nicht in ähnlicher Weise über Licht diskutiert? Wir müssen mehr Wissen über Licht vermitteln, angefangen von den Grundschulen bis zu den Universitäten. Das Thema Licht muss raus aus der Nische. Die Lichtfestivals, die von Jahr zu Jahr mehr werden, zeigen doch: Sobald das Licht zum Hauptakteur wird, ist die Akzeptanz ganz enorm!
Brauchen wir „Lichtaktivisten“, die sich für gute Beleuchtung einsetzen?
Mit den Lichtplanern, den Lighting Designern, haben wir schon die ersten Lichtaktivisten. Professionelle, unabhängige Lichtplaner können glaubhaft machen, dass es ihnen um Gestaltung und Wirkung geht, nicht um mehr verkaufte Leuchten. Ein Deutscher Lichtdesign-Preis, den wir seit einigen Jahren haben, hilft, indem er Nachrichten generiert und das Thema Licht in die Medien bringt. Auch die vielen Menschen, die sich als Stadt- und Landschaftsplaner oder in den Behörden mit Licht beschäftigen, können noch viel mehr Unterstützung, Aufmerksamkeit und Selbstbewusstsein gebrauchen. Gerade bei den Landschaftsarchitekten steigt das Bewusstsein für Licht und seinen Beitrag zum Wohlbefinden: Das zeigt sich auch daran, dass sie immer öfter den Schulterschluss mit Lighting Designern suchen. Wir haben als Lighting Designer an der Hochschule Hildesheim in den letzten Jahren mehrfach mit den Landschaftsplanern der Leibniz-Universität Hannover kooperiert und wunderbare Ergebnisse erzielt.
Hochwertige Beleuchtung: Ein Zeichen von Wertschätzung für die Bürger, auch und gerade in problematischen Bereichen der Stadt.
Bleibt die Frage, wie die Industrie auf diese neuen Anforderungen der Beleuchtung reagieren soll. Welche Werkzeuge, welche Produkte brauchen Lichtplaner, die sich auf Wohlbefinden und Nachhaltigkeit fokussieren?
Die Beleuchtung im öffentlichen Raum lässt sich heute nicht mehr mit Standard-Straßenleuchten erledigen. Die haben, etwa an der Ausfallstraße, weiterhin ihre Berechtigung. Doch gerade in innerstädtischen Bereichen benötigen wir komplexere Werkzeuge. Anforderungen sind zum Beispiel eine erweiterte Auswahl an Lichtfarben, dynamische Lösungen zur Steuerung, verschiedene, an die Situation angepasste Leuchtenproportionen sowie vielfältige Montageoptionen. Nicht alles lässt sich mit Mastleuchten bewältigen, hingegen eröffnen multifunktionale Lichtstelen interessante Möglichkeiten. Im mittelalterlichen Stadtkern brauche ich anderes Design als in einem Neubaugebiet. Wir benötigen variantenreiche Leuchtenfamilien, die von der Wandleuchte über den Poller bis zum Fluter oder Scheinwerfer eine durchgängige Designsprache haben. Mit solchen Instrumenten lässt sich für jedes Stadtviertel ein neuer Denkansatz realisieren.
Parks und öffentliche Anlagen sind Lebensräume mitten in der Stadt. Die Lichtplanung zielt auf eine Balance zwischen Ökologie und Wohlbefinden.
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